Dienstag, 17. April 2012
kaputt
St. ruft an, es geht um die Verschiebung einer Verabredung. Dass er anruft, um sich zu entschuldigen, hätte mich auch sehr gewundert. Ich kann erst mal nur einsilbige "Hms", ich weiss immer noch nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten soll nach seinen Ausfällen. Irgendwann frage ich dazwischen, ob er denn gut heimgekommen sei. Ja, meint er, offensichtlich, er könne sich an nichts erinnern. Dann weiss ich, was ich will und tue es auch gleich: ihn zusammenfalten. Laut. Als ich fertig bin, sagt er lange nichts und dann, leise und stockend, dass er seit unserem Gespräch in der Küche einen Filmriß habe, dass er seit acht Jahren nur zusehe, wie sein Leben den Bach heruntergehe und nichts dagegen tun kann, dass er in allen Bereichen so dermaßen unzufrieden ist, aber keine Kraft habe, irgendwas zu ändern. Nichts davon ist mir wirklich neu, nur die tiefe des Abgrunds. Jetzt erzählt er lange und ich lasse ihn reden. Ich glaube, so ehrlich war er sich selbst gegenüber noch nie.
Nachmittags kommt J., um mir mein liegengebliebenes Autochen wieder flott zu machen. Während er das Kabel an beide Batterien anschließt und ich diverse Startversuche mache, während er die Kontakte reinigt und ich nochmal versuche, den Motor anzulassen, erzähle ich ihm von St. Ich erzähle weiter, während J. raucht und wir beide warten, ob ein paar Minuten Pause den Erfolg beim Anlassen bringen. Ich erzähle von meinen Vorschlägen, eine Therapie zu beginnen und St.s Abwinken, von der Verzwicktheit der gesamten Situation, von der beginnenden Verachtung seines achtjährigen Sohns. Wir machen einen letzten Versuch und damit schrotte ich wohl auch noch den Anlasser und nehme mir die Chance, für den Wagen noch ein paar Euro zu bekommen. Wir beenden den mißglückten Starthilfeversuch mit einem Achselzucken und gehen rein. Was ist schon ein kaputtes Auto gegen ein kaputtes Leben?

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