Mittwoch, 4. September 2013
Realität
Ich komme gerade in der Realität an und das heißt insbesondere: Akzeptieren, Tolerieren, Hinnehmen.

Der verrückte Radfahrer und ich leben nun seit einem halben Jahr zusammen, haben seit viereinhalb Monaten ein Kind und sind seit ca. 14 Monaten zusammen (kennen tun wir uns auch nur ein paar Wochen länger). Wir sind also aus dem Gröbsten heraus: Wir haben unsere Sachen alle in seiner Wohnung untergebracht, mit dem Kind läufts und jetzt sortieren wir gerade uns. Vorher kamen wir nicht dazu (ich mußte noch ganz viel schreiben, bevor das Kind kam, er ganz viel radfahren).
Ich bin bei diesem Sortieren nun an diesem Punkt angelangt: Ich liebe ihn, möchte mit ihm - nicht nur, aber auch - wegen des gemeinsamen Kindes eine längerfristige (sagen wir ruhig für immer) Zukunft haben und gleichzeitig kenne ich nun viele seiner Macken und bin klug und lebenserfahren genug um zu wissen, dass bleibt bei fast allen jetzt für immer so, schlimmstenfalls kommen mit dem Alter noch weitere hinzu oder werden ausgebaut.

Ich muss also jetzt damit leben, dass:

- man auch in größter Eile morgens frische Brombeeren fürs Frühstück von der Hecke oberhalb des Feldes (da sind sie gerade am besten!) pflücken muss
- es für sinnvoll erachtet wird, während des Staubsaugens alle Fenster und Türen zu öffnen, weil so der ganze Staub besser entfernt werden kann
- er sich, weil ich ihm gebeten hatte, auf einem wissenschaftlichen Kolloquium mit langen Hosen zu erscheinen, vor der Eingangstüre umzieht (nein, nicht aus Trotz, er fand das völlig normal)
- er in den seltsamsten Gangarten (Pferdegalopp, Entenwatscheln) durch die Wohnung UND den Supermarkt flaniert
- den ganzen Sommer über schon Weihnachtslieder singt, weil ihm sonst keine Lieder einfallen, das kleine Mädchen aber mit Singen zu beruhigen ist. AUCH in der Öffentlichkeit
- er vier Minuten bevor er aus dem Haus muss, um einen Zug zu erreichen, noch unter die Dusche geht
- er wörtlich keiner Fliege etwas zuleide tun kann. Die werden hier mit der Fliegenklatsche nur betäubt und dann rausgetragen
- er mit einem Kreuzzeichen sein Stück Fleisch auf dem Teller aussegnet, bevor er es isst (auch bei Wurst, auch bei Speckstückchen, auch beim Grillen mit Freunden, auch im Restaurant)
- alle gefundenen Bussardfedern bei uns an der Decke aufgehängt werden
- für eine zweistündige Radfahrt eine komplett gepackte Satteltasche (Regenzeug, Pullover, Keckse, Wasser) mitgenomen werden muss
- entsprechendes gilt mit Rucksack für einen Spaziergang
- auch wenn wir beim Nachbarn 200 m weiter im Garten sind
- er jedesmal vergisst den Rückweg miteinzuplanen, wenn er allein oder mit Kind und/oder mir Wandern oder Radfahren geht
- er sich vor dem Schlafengehen noch mit einem Buch und Tee vors Haus setzen muss. AUCH im Winter bei Minusgraden, Schneesturm, Starkregen, Heimkommen um 3 Uhr nachts
- in jedem Bach gebadet werden muss, egal wie wild, wie kalt er ist und immer ohne Badehose
- er von jeder Kirche der näheren und ferneren Umgebung die besondere Energie kennt und diese beschreibt, wenn von dem Ort die Rede ist
- beim Kochen grundsätzlich mindestens vier verschiedene Fettsorten verwendet werden müssen: verschiedene Öle, dann noch Butter und zum Schluss Sahne und/oder Creme fraiche und dann noch Käse drauf (immerhin können wir das jetzt trennen in meins ohne und seins mit)
- in sein Müsli Joghurt UND Kefir UND Milch UND Quark UND Sahne muss
- egal wie eilig oder weit es ist, immer der Weg mit mehr Sonne gewählt wird
- man Babies auch im Tragetuch mit dem Rad transportieren kann
- alles mit dem Löffel gegessen wird. Alles
- immer zu spät gekommen wird. Immer
- er keine Uhr trägt
- er keine Zeitung liest, Radio hört, Fernsehen guckt (gut!), im Internet surft. Nichts
- er seinen Wecker, der ein paarmal nicht geweckt hat, nicht aussortiert, sondern einen zweiten zur Unterstützung kauft
- hier mindestens zehn verschiedene Paar Gummistiefel herumstehen. Edit: Vierzehn. Wir müssen reden

Sonst ist aber eigentlich alles gut.

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